Wie ich zum Coaching kam
Seitdem ich denken kann, denke ich. Ziemlich viel. Manchmal auch zu viel – weshalb ich in den letzten Jahren die Achtsamkeit als wirksames Mittel gegen das „Gedankenkarussell“ entdeckt habe. Das gilt auch fürs Coaching. Wenn ich coache, dann höre ich zuerst einmal achtsam zu. Und dann erst denke ich nach. Ich versuche meine Klient:innen genau zu verstehen, denn nur so können alternative Sichtweisen und passende neue Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden. Dazu braucht es Einfühlungsvermögen, aber auch die Fähigkeit, die Situation von außen zu betrachten. Und es braucht fundiertes psychologisches Fachwissen, um zu erkennen, wo genau das Problem liegt, ob Coaching in dieser Situation die Methode der Wahl ist und falls ja, welche Methoden dann sinnvoll erscheinen. Deshalb ruhe ich mich nicht auf meinem Psychologie-Diplom und meiner Coaching-Ausbildung aus, sondern füttere mein Gehirn regelmäßig mit Denkfutter in Form von psychologischer Fachliteratur und kontinuierlicher Weiterbildung. Außerdem reflektiere ich meine Arbeit im Lehrcoaching oder in der Intervision mit erfahrenen Kolleg:innen, um mich und meine Kompetenzen immer wieder weiterzuentwickeln und blinde Flecken zu bearbeiten.
Aber der Reihe nach – ich wollte ja nicht darüber schreiben, was mir in meiner Arbeit als Coach wichtig ist, sondern wie ich zum Coaching gekommen bin. Wie wir Psycholog:innen das so gerne machen, fange ich mal mit meiner Kindheit an: Als ältestes Kind in einer Familie, in der Sucht ein Thema war, fühlte ich mich schon früh verantwortlich für das Glück anderer Menschen. Dabei kamen meine eigenen Bedürfnisse auch gerne mal zu kurz. Mit dieser Biographie war ich eigentlich prädestiniert dafür, nach dem Abitur Psychologie zu studieren, um meine eigenen Probleme zu beackern und zu versuchen mich selbst zu therapieren – ganz so, wie es das gängige Klischee über Psycholog:innen impliziert. 1990 war die Psychologisierung der Gesellschaft allerdings noch lange nicht so fortgeschritten wie heute, und Psychologie als Studienfach kam mir gar nicht in den Sinn.
Also studierte ich, was meine Mutter mir vorschlug, nämlich BWL mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik. Das Ganze fand in Form eines dualen Studienganges mit abwechselnden Studienphasen an der Beuth-Hochschule in Berlin und Praxisphasen bei IBM Deutschland in unterschiedlichen Funktionen statt. Ich merkte ziemlich schnell, dass viele Bereiche der BWL mich nur peripher und die Wirtschaftsinformatik mich eigentlich gar nicht interessierten. Eigentlich fand ich nur Marketing und Personalmanagement spannend und quälte mich mit allem anderen. Aber ich neige nun mal zum Beenden einmal angefangener Dinge, und so hatte ich mit knapp 23 Jahren mein BWL-Diplom in der Tasche und den Arbeitsvertrag mit einer für mein Alter nicht unbeträchtlichen Gehaltssumme auf dem Tisch.
Aber mein Bedürfnis, mich selbst weiter zu entwickeln (oder mich selbst zu therapieren – siehe oben) und mein Wunsch, mich inhaltlich mit Dingen zu beschäftigen, die mich wirklich interessierten, waren größer als die monetäre Verlockung. Also zerriss ich den Arbeitsvertrag und opferte die Managementkarriere bei IBM dem ausgiebigen Psychologiestudium an der TU Berlin. Ausgiebig nicht nur deshalb, weil ich mein neugewonnenes Studentenleben so genoss, sondern auch deshalb, weil ich mich ja irgendwie finanzieren musste und neben meinem Studium ziemlich viel arbeitete. Zunächst als Marketingassistentin, dann als Personalsachbearbeiterin und schließlich als Personalreferentin und Beraterin der Geschäftsführung in einem mittelständischen Unternehmen.
In meinem Studium wählte ich im Hauptstudium den Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie und entdeckte in einem Seminar bei Dr. Astrid Schreyögg die Beratungsform Coaching. Hier sah ich die optimale Möglichkeit, meine Querschnittskompetenz aus BWL und Psychologie sowie meine zwischenmenschlichen und intellektuellen Fähigkeiten einzusetzen. Ich beschäftigte mich intensiv mit der wissenschaftlichen Literatur zum Thema, die damals noch dünn gesät war. Konsequenterweise schrieb ich auch meine Psychologie-Diplomarbeit zum Thema Coaching und untersuchte reale Coaching-Prozesse mit einer qualitativen Methode. Schließlich absolvierte ich in der Elternzeit eine Coaching-Ausbildung am Berliner artop-Institut, denn wir Frauen brauchen ja für alles, was wir machen (auch wenn wir es vielleicht schon ganz gut können), ein Zertifikat.
Eigentlich war geplant, nach der Elternzeit wieder zurück in meinen Job als Personalreferentin zu gehen und meine neu gewonnene Coaching-Kompetenz an meinen Vorgesetzten auszuprobieren, aber das Mutterwerden bzw. -sein hatte zu völlig anderen Prioritäten in meinem Leben geführt. Ich wollte Zeit mit unserer Tochter verbringen und zunächst einmal nur wenige Stunden arbeiten, was sich leider als ziemlich schwierig herausstellte. Als mich meine ersten Coaching-Klient:innen weiterempfahlen und ich schon während der Coaching-Ausbildung die ersten Rechnungen schrieb, entschloss ich mich, Ende 2005 den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen – vor allem deshalb, weil ich darin eine Möglichkeit sah, flexibel zu arbeiten und Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen.
Zu Beginn dieser etwas unfreiwilligen Selbstständigkeit habe ich mich auf Langzeitstudierende und berufstätige Mütter spezialisiert, wobei sich die erste Zielgruppe aufgrund des später eingeführten Bachelor-und-Master-Systems als aussterbende Rasse entpuppte. Berufstätige Mütter zählen nach wie vor zu meinem Kundenkreis, denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für viele aufgrund der äußeren Bedingungen, aber auch aufgrund eigener Ansprüche ein schwieriges Thema – wovon ich selbst auch ein Lied singen kann. Aber auch immer mehr Männer wollen sich nicht mehr für die Arbeit aufreiben und suchen nach Möglichkeiten, die verschiedenen Lebensbereiche miteinander zu vereinbaren. Zu einer ausgewogenen Lebensbalance gehören meiner Meinung nach eine sinnvolle Tätigkeit, die aktive Pflege der eigenen Gesundheit, positive soziale Beziehungen sowie die persönliche Weiterentwicklung.
Ich liebe es, im Coaching Menschen dabei zu unterstützen, brachliegende Ressourcen in diesen verschiedenen Bereichen zu aktivieren. Außerdem liebe ich die Natur, weshalb es mir ein Anliegen ist, natürliche Ressourcen zu schützen und dafür notfalls auf Bequemlichkeit zu verzichten. Und ich liebe Tiere, weshalb ich sie nicht esse. Schließlich liebe ich alle veganen Kochbücher, die mit ihren Rezepten dafür sorgen, dass mir dabei weder Nährstoffe noch Genuss fehlen. Aber am allermeisten liebe ich meinen Mann (meinen Lieblingskoch) und unsere gemeinsame Tochter (meine Lieblingsfeedbackgeberin, weil sie dabei immer gnadenlos ehrlich ist). Aber ich schweife schon wieder ab – also zurück zum Coaching.
In den letzten Jahren gesellten sich zu meinem Standbein Einzelcoaching auch Gruppen- und Teamcoachings, Trainings und Seminare sowie Lehraufträge als Hochschuldozentin (u.a. auch zum Thema Coaching). Und 2008 kam ich auf die Idee, meine private Leidenschaft des Langstreckenlaufs mit meiner beruflichen Tätigkeit als Coach zu verbinden: Ich erfand die Kombimethode „Laufcoaching“, bei der ich Menschen im Laufen – zu Beginn auch oft im Gehen – coache.
Weil der Coaching-Begriff so abgedroschen und die Berufsbezeichnung Coach nicht geschützt ist, habe ich schon oft überlegt, wie ich das, was ich da beruflich so treibe, sonst noch nennen könnte. Aber leider ist mir bisher nichts Sinnvolles eingefallen. Und wer weiß, was die Zukunft bringt. Vielleicht ebbt die Coaching-Welle irgendwann ab, und es bleiben nur noch die übrig, für die das wirklich ein(e) Beruf(ung) ist. Oder mich packt erneut die Midlife-Crisis und ich mache einen veganen Dönerladen oder einen Laufladen für Frauen auf. Man darf gespannt sein.